Der Spiegel versus nuda veritas_Polens Reparationszahlungen an Deutschland

Polens Reparationszahlungen an Deutschland: Die nackte Wahrheit wird verschleiert und verhindert eine gemeinsame Zukunft Europas

Das folgende Zeitdokument ist mein Brief vom 8. Oktober 2017 an die Spiegel-Redaktion. Am Beispiel meiner Familie beschreibt dieser Brief die historischen Fakten und Grausamkeiten die der polnischen Nation unter nationalsozialistischer Besetzung widerfahren sind. Dieses Zeitzeugnis ist ein Mahnmal gegen das Vergessen und gleichzeitig eine Begründung warum Deutschland unzähligen polnischen Familien Reparationszahlungen schuldet. Denn ohne (materielle) Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts gibt es keine Beseitigung der Schuld, damit auch keine endgültige Versöhnung und gemeinsame Zukunft in Europa.

Dr. Waldemar Gontarski:

Sollten Deutsche Wert auf gutnachbarliche Beziehungen mit Polen, ist es nicht notwendig, auf Vorschriften des Völkerrechts zurückzugreifen. In diesem Falle sollte die nuda veritas zur Abwicklung von Entschädigungsansprüchen reichen


Warszawa, 8.10.2017 r.


Der Spiegel
Redaktion
Chefredakteur
Klaus Brinkbäumer
Ericusspitze 1
20457 Hamburg

Brief an das Wochenmagazin „Der Spiegel”

Die das Thema der aus Deutschland zustehenden Kriegsreparationen zur Sprache bringen den polnischen Bürger seien von Hass geprägt – dies ergibt sich aus der Veröffentlichung im „Spiegel” (Nr. 38 / 15.09.2017), obwohl, dem Wochenmagazin zufolge, diese Ansprüche aus rechtlicher Sicht aussichtslos seien („Eine juristisch aussichtslose Forderung…” – Jan Puhl, „Polnische Wutbürger. Analyse. Warum der aggressive Kurs der Regierung im Inland beklatscht wird”, S. 93); die polnischen Bürger sind in dieser Veröffentlichung unter anderem in diesem Kontext als „polnische Wutbürger” bezeichnet worden.
Polen habe auf Reparationszahlungen mit Wirkung für ganz Deutschland „verbindlich verzichtet” – hieß es einige Tage zuvor in einer Erklärung des Regierungssprechers Steffen Seibert während einer Pressekonferenz in Berlin. Seibert fügte dem hinzu: „Es gibt für die Bundesregierung gar keinen Anlass, an der völkerrechtlichen Wirksamkeit des Reparationsverzichts zu zweifeln. Damit ist diese Frage für uns rechtlich wie politisch abschließend geregelt.”
Noch wenige Tage früher hieß es auf der Webseite des Bundestags (in der Meinungsäußerung unter dem Titel: Völkerrechtliche Grundlagen und Grenzen kriegsbedingter Reparationen unter besonderer Berücksichtigung der deutsch-polnischen Situation), dass die polnischen Reparationsansprüche als verjährt angesehen werden müssen.
In derselben „Spiegel”-Ausgabe stellt der Bundesaußenminister Sigmar Gabriel fest, die polnischen Reparationsansprüche für den 2. Weltkrieg wären ein Versuch, die „nahen und guten deutsch-polnischen Beziehungen, die sich zwischen Deutschland und Polen im Verlauf der Jahre entwickelt haben, zu verschlechtern” (Titel der Veröffentlichung: „Gabriel weist Polen zurück. Reparationen”, S. 30).

Abgesehen von den staatlichen Forderungen sei es daran erinnert, Deutschland hat in den 90-er Jahren der Auszahlung von individuellen Entschädigungen an polnische Zwangsarbeiter aus dem 2. Weltkrieg zwar zugestimmt, doch die jeweilige Entschädigung umfasste nur die lebenden oder die nach 15. Februar 1999 verstorbenen (im Falle der Verstorbenen wurden die Entschädigungen von den Hinterbliebenen – den Erben – übernommen).
So wurde z.B. mein Vater, Józef Gontarski, ein Kind aus der Region um Zamość, und zwar aus der Ortschaft Łukowa, samt Geschwistern und Eltern zur Zwangsarbeit bei einem Bauer in Muelheim bei Köln verschleppt. Die Tragödie von Łukowa begann mit einem Massenmord an Juden im August 1942 und mit sich wiederholenden Erschießungen von Bauern, die der Verordnung der Kontingent-Rückgabe nur zögernd nachgingen. Dann kamen Razzien, Aussiedlungen und Gewaltanwendungen hinzu. Gleichzeitig fing Deutschland an, den Kreis Zamość zu kolonisieren („Aktion Zamość”). Auf diese Art und Weise gelangte 1942 in die Nähe von Zamość z.B. Familie Koehler, in der 1943 der künftige Bundespräsident, Horst Koehler, zur Welt kam.
Am 3. Juli 1943 betraten zwei angetrunkene Deutsche mit schussbereiter Waffe das Haus meines Vaters, sie erteilten allen Hausbewohnern den „Zweimal-Zehn”-Befehl: 10 Minuten Zeit, das Haus zu verlassen zu müssen und ein 10 Kilogramm schweres Gepäck zuzüglich Kleidung (für eine 6-köpfige Familie) mitnehmen zu dürfen. Die Familie ist zunächst in das Übergangslager in Zwierzyniec transportiert worden. Das Lager (die Lagerbaracken), wo jegliche Sanitäreinrichtungen sowie Trinkwasserversorgung fehlten, war Stätte regelmäßiger gewaltsamer Misshandlungen von Gefangenen seitens deutscher Wächter sowie des ukrainischen SS-Hilfsdienstes. Nach zwei Wochen ist meine Familie dank ihrer hellen Haarfarbe gerettet worden. Nach einer Augen-, Physionomie- und Hautfarbenprüfung durch eine sich aus drei Gestapobeamten und zwei Sekretärinnen zusammensetzende Kommission ist mein Vater samt Geschwistern und Eltern für die Verschleppung nach Deutschland eingestuft worden. Seine Nachbarn hatten weniger Glück. Nach einem nach rassischen Kriterien durchgeführten Auswahlverfahren sind Familien getrennt worden, wobei einige Familienmitglieder nach Deutschland und die anderen in das KZ-Majdanek transportiert wurden. Der Zug (Viehwaggons), mit dem meine Familie verbracht wurde, verließ die Station Biały Słup in Zwierzyniec und gelang mit einer Umsteigestation in Lublin nach drei Tagen nach Euskirchen im Nordrheinland. Die „Passagiere” wurden auf einen Platz im Stadtzentrum zusammengetrieben. Da ging es wie auf einem wahren Sklavenmarkt zu, wie im Altertum auf der Iberischen Halbinsel, wo Sklaven auf Schiffen aus Afrika rübergebracht wurden und wo ein auf einem Fass stehender Weißer mit einem Bambusstock zeigte, zu welchem Weißen der jeweilige Sklave gehen soll. Damals in Euskirchen 1943 stand der Deutsche ebenfalls auf einer Erhebung und kommandierte ebenfalls mit einem Bambusstock herum. Mein Vater hat all das zwar überlebt, jedoch später litt er an schweren gesundheitlichen Nachfolgen und musste wegen schlechten Gesundheitszustands im Alter von 25 Jahren die Lehrtätigkeit aufgeben und in Pension gehen. 1984 starb er nach langjähriger Krankheit. Außerdem wurde der Bruder meines Großvaters, Priester Marcin Gontarski, in einem deutschen Konzentrationslager zu Tode gequält. Durch die dortigen Deutschen ist meine Familie in den selben Kategorien betrachtet worden, die heute in der deutschen öffentlichen Debatte Anwendung finden: „polnische Wutbürger”. Mein Vater hörte von Deutschen mehrmals genau das, was „Der Spiegel” heute in Bezug auf polnische Bürger schreibt, im Besonderen im Kontext deutsch-polnischer Beziehungen: „Er hasst…” – der Bauer hat meine Verwandten erst nach der Ankunft amerikanischer Soldaten zu seinem Tisch gebeten, es waren Amerikaner polnischer Herkunft.

Als Rechtsanwalt beschäftige ich mich seit langem mit dem Problem der Verjährung polnischer Kriegsreparationen aus Deutschland, wie es kurz genannt wird. Das Dokument, in welchem Polen auf die Reparationsansprüche angeblich verzichtet hat, ist die „Erklärung der Regierung der Volksrepublik Polen” vom 23. August 1953, die als Bieruts Beschluss bekannt ist. Allein aus dem Inhalt des Dokumentes geht hervor, dass die Erklärung auf dem früheren, in der „Entscheidung der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die deutsche Frage” enthaltenen Verzicht auf Reparationsansprüche basiert, wobei gemäß den Festlegungen des Potsdamer Abkommens Polens Reparationsansprüche aus dem der Sowjetunion zustehenden Teil der Entschädigungen erfüllt werden sollten. Bieruts Beschluss hat allerdings keinerlei Rechtskraft. Er ist unheilbar nichtig, da er unter Zwang gefasst wurde, und zwar unter wirtschaftlichem Druck (die sog. Kohleerpressung). In Polen fand 2004 eine hitzige Rechtsdebatte statt, die durch meine in der Presse publizierten Artikel eingeleitet wurde. Später ist in dem 2004 publizierten Weißbuch deutsch-polnischer Beziehungen (Das Problem der Reparationen, Kriegsentschädigungen und Leistungen in den deutsch-polnischen Beziehungen 1944-2004. Band 1. Studia, Herausg. W. M. Góralski, Warschau 2004) das Gutachten von Professor Jan Sandorski (Der Verzicht durch Polen auf Reparationsansprüche gegenüber Deutschland im Jahre 1953 im Lichte des Völkerrechts) veröffentlicht worden, in welchem mir ausdrücklich rechtgegeben wurde. Das Gutachten basiert auf konkreten Regelungen des Völkerrechts, der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofes sowie den Standpunkten der Vertreter aus Rechtswissenschaften, darunter der Veröffentlichung des britischen Vertragsrechts-Experten R.Y. Jennings, dem Professor der Universität Cambridge und IHG-Vorsitzenden in den 90-er Jahren. Angesichts des von der deutschen Seite zur Geltung gebrachten Arguments, Polen habe später, wie z.B. 1990 durch die Regierung von Tadeusz Mazowiecki, seinen Verzicht auf die Kriegsreparationen aus Deutschland bestätigt – auf Aufforderung (unter Druck) der Regierung von Helmut Kohl, was die Voraussetzung für die Anerkennung westlicher Grenze Polens durch Deutschland war – sollte klargestellt werden, dass analog zum durch Moskau 1953 auf Warschau (vor allem in wirtschaftlichem Sinne) ausgeübten Zwang griff Berlin 1990 auf politische Zwangsmaßnahmen zurück. Das Problem des durch die deutsche Regierung auf Polen ausgeübten Drucks wurde ans Licht gebracht stieß auf Kritik seitens deutscher Opposition während einer Bundestag-Debatte im März 1990.
Die Rechtsgrundlage polnischer Reparationsansprüche ist das im Art. 52 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge kodifizierte Gewohnheitsrecht (Zwang als Nichtigkeitsgrund) – diesbezüglich siehe z.B. Harvard Draft Convention on the Law of Treaties, „American Journal of International Law” 1935, Nr. 29. Im Falle einer Nötigung unter Nichtigkeitssanktion hingegen reicht schlüssiges Handeln aus. Dieses kann lediglich Formen eines wirtschaftlichen oder politischen Drucks annehmen (vgl. z.B. „Yearbook of International Law Commission” 1963, S. 52-53).
Dieser Tatbestand wird in dem obenerwähnten Gutachten von Prof. Jan Sandorski eingehender besprochen (siehe beigefügte beglaubigte deutsche Übersetzung des Gutachtens).

Andererseits, sollten Deutsche Wert auf gutnachbarliche Beziehungen mit Polen, ist es nicht notwendig, auf Vorschriften des Völkerrechts zurückzugreifen. In diesem Falle sollte die nuda veritas zur Abwicklung von Entschädigungsansprüchen reichen (zuzüglich einer deutschen Regelung).

Dr. Waldemar Gontarski

Podziel się tym wpisem

Facebook
Twitter
WhatsApp
Telegram

zostaw komentarz

Dodaj komentarz

Twój adres e-mail nie zostanie opublikowany. Wymagane pola są oznaczone *

Podobne wpisy:

Ta strona korzysta z ciasteczek aby świadczyć usługi na najwyższym poziomie. Dalsze korzystanie ze strony oznacza, że zgadzasz się na ich użycie. Musisz zaakceptować by korzystać z serwisu